Kreta entdecken mit dem Reiserad

Koutsounari - Ierapetra - Mirtos - Tsoutsouros - Matala - Spili

Tsoutsounari - Ierapetra - Mirtos - Tsoutsouros

Es regnet! Was wir in Anbetracht von über dreihundert Sonnentagen im Jahr nicht für möglich gehalten haben, ist eingetroffen. Und es regnet nicht nur, es giesst. Gurgelnd verschwindet das Wasser in Löchern und Ritzen. Es ist aerb immer noch warm, und so beschliessen wir, trotzdem weiter zu fahren, was solls?

Schon bald hat der Wind vom Meer her die Regenwolken vertrieben, und es klart auf. Beim Durchfahren von Ierapetra nutzen wir die Gelegenheit, Ruedi ein neues Hemd zu kaufen. Das mitgebrachte Seidenhemd hat er in seine unnachahmlichen Art beim Ausziehen unreparierbar zerrissen. In einem Kleidergeschäft bekommen wir ein mit zehn Euro angeschriebenes Hemd von Tommy Hilfiger (?) nach einem kurzen Blick auf das Preisschild und ohne jeden Hinweis von uns, dass das uns zu teuer scheint, für nur sieben Euro: "Best Price", sagt die Verkäuferin. Der Ladenbesitzer ist - wen wundert es - natürlich ein Chinese.

Die nachfolgende Strecke bis kurz von Mirtos ist wenig attraktiv. Reparaturbetriebe und zerrissene Gewächshäuser säumen die Strasse. Überall liegt Gerümpel und Müll herum. Mit ihren Pick Up Trucks fahren die Bauern ihre Ernte - Kartoffeln, Tomaten, Zuccetti und anderes mehr - zu den Abnahmebetrieben. Ab und zu sieht man eine Gruppe von Männern herumstehen, die offenbar auf eine Tagesarbeit in einem der Gewächshäuser hoffen.  Kurz vor Mitros überholt uns ein Lastwagen. Er ist voll besetzt mit Leuten, die zum Arbeiten in einem der Gewächshäuser gefahren werden. Vor einer Taverne steht ein Lieferwagen, aus dem frischer Fisch verkauft wird. An einem anderen Ort repariert ein Mann das zerbrochene Rücklicht an einem Lastwagen. Die Autos, die bei Garagen am Strassenrand oder auch im Verkehr zu sehen sind, machen manchmal einen eher abenteuerlichen Eindruck. Wie es ausschaut, versucht hier jeder so gut über die Runden zu kommen, wie er eben kann.

WIr kommen wieder nach Mirtos, und, da es geöffnet hat, machen wir einen Besuch im kleinen Museum am Ort. Es zeigt einige Fundstücke aus minoischer Zeit, die ursprünglich von einem Privaten zusammengetragen und nun als wichtige Zeugen der vergangenen Zeit vom Staat übernommen worden sind.

Ab Mirtos wird die Küstenstrasse dann recht schmal und sandig. Sie führt zu Beginn unter einem lehmigen, mit grossen Steinen durchsetzen Abhang entlang. Ein dort stehender Bagger - er hat offenbar erst vor kurzem beträchtliche Mengen von Schlamm von der Fahrbahn geräumt - und grosse Steine auf der Strasse sind für uns ein Zeichen, dass man diese Strasse bei Regen oder drohendem Gewitter wohl besser nicht befährt. Das Risiko, hier von einem grossen Stein getroffen oder gar von einem Erdrutsch ins Meer befördert zu werden, wäre uns dann doch zu gross. Zudem läuft das in tief ausgewaschenen Runsen den Hang hinab stürzende Wasser einschliesslich mitgeführtem Schlamm direkt über die Strasse. Bei Starkregen wird das dann richtig gefährlich. Die Strasse ist sonst in ordentlichem Zustand und nahezu durchgängig geteert. Die einzige Ausnahme davon bildet  eine zirka eineinhalb Kilometer lange ungeteerte, aber fest gefahrene Piste zwischen Kallikobrexis und Tertsa. Und einige der zementierten Furten, bei denen die Bäche bei starker Wasserführung über die Strasse laufen, sind in wirklich üblem Zustand.

Die Etappe ist anstrengend, zwei der Anstiege zum Überqueren der Riegel, die sich vom Dikti Gebirge ins Meer schieben, sind steil.

Nach unserer Ankunft in Toutsouras werden wir  einmal mehr fast vom Rad gerissen - jeder versucht, unbedingt ein Geschäft mit den seltenen Touristen zu machen. Vom Hotelbetreiber Michalis erfahren wir Einiges über das Leben und die Wirtschaft in dieser Region und seine Pläne für die Zukunft seines kleinen Hotels. So möchte er zum Beispiel gerne von den zwei Tonnen Olivenöl, die die 650 Olivebäume seiner Familie pro Jahr hergeben, etwa eineinhalb Tonnen in kleine Flaschen abfüllen und verkaufen. Sein siebzigjähriger Vater geht noch regelmässig aufs Meer zum Fischen. Die Mutter brät uns denn auch frischen Fisch zum Nachtessen - lecker!

Wir wünschen der ganzen Familie viel Glück und Erfolg!

Tsoutsouros - Matala

Vor dem heutigen Anstieg haben wir schon etwas Respekt. Der Führer "Kreta mit dem Rad" gibt an, dass es gleich zu Beginn auf fünf Kilometern um die 500 Höhenmeter zu überwinden gilt. Überraschenderweise brauchen wir nur etwas mehr als eine Stunde bis zum höchsten Punkt. Der heftige Gegenwind vor allem im unteren, schluchtartigen Teil der Strecke hat uns eigentlich mehr zugesetzt als die lange Steigung. Ausserdem stellt sich heraus, dass die Höhenkurve im Fahrradführer nicht korrekt ist, die Strecke ist einen Kilometer länger als angegeben. Oben angelangt geniessen wir den überraschenden Blick auf eine grosse Hochebene. Hier sind kaum Gewächshäuser zu sehen, denn hier werden Kartoffeln, Reben und grosse Oliven-Haine angebaut.

Nun geht es auf einer sehr guten Strasse rasant hinunter bis nach Kato Kastelliana, dann bei leichtem Rückenwind und immer leicht wellig weiter bis nach Stabies, wo wir von der asphaltierten Strasse auf eine ungeteerte Piste abbiegen. Sie ist in ordentlichem Zustand und hilft uns dabei, die Ecke der Strasse zwischen Stabies und Bagionia abzuschneiden. Die Strecke ist mehr oder weniger flach. Sie führt meistens durch grosse Anpflanzungen von Olivenbäumen und ist im Grossen und Ganzen wenig reizvoll.

Unterwegs bekommen wir eine Sandrose geschenkt, die wir bei einem Betrieb gesehen haben, der kleine Keramikkirchen und Tiere als Behälter für Pflanzen anbietet. "Charisma" sagt die Verkäuferin lächelnd, und von Bezahlung will sie absolut nichts wissen. Danke schön!

Unterwegs treffen wir auf Gruppen von Erntearbeitern, die am Kartoffelausgraben sind. Es sind viele Schwarze dabei, vermutlich Migranten aus Afrika. Fröhlich winkend rufen sie uns zu: "How are you?" - wie geht es euch. Ob die wohl auch jemand ab und zu fragt, wie es ihnen geht?

Wir haben uns spontan entschlossen, dem aus Hippie-Zeiten bekannten und berühmten Matala einen Besuch abzustatten. Wir waren gewarnt - Matala ist bekannt als stark touristisch ausgeschlachteter Ort an der Südküste von Kreta. Vom möglicherweise einmal vorhandenen Charme der Aussteigerkommune ist nicht viel übrig geblieben. Grosse Hotels, Restaurants und Shops dominieren den Ort, und die landschaftlich wirklich sehr schöne Bucht mit den beiden vorgelagerten Inseln Paximadia - sie liegen um die dreizehn Kilometer vor der Küste - wird zum grössten Teil als Parkplatz für die Besucherfahrzeuge genutzt.

Auch hier haben wir problemlos ein grosses Hotelzimmer zum Preis von nur 40.- Euro gefunden. Nach dem alltäglichen Reinigungsritual gehen wir zur Bucht. Dort werfen wir einen Blick auf die Höhlen, in denen die Verweigerer des Vietnam-Krieges auf ihrem Weg nach Indien einmal Station gemacht haben, schlendern dann durch das überwältigende Angebot an Sonnenbrillen, T-Shirts, Keramiken und jeder Menge anderer billiger Dinge, die kein Mensch wirklich braucht und erholen uns schliesslich bei einem Glas frisch gepresstem Orangensaft und einem kleinen Imbiss von den Anstrengungen des heutigen Tages.

Morgen werden wir Matala wieder verlassen - solche Orte sind wirklich nicht unser Ding.
Oder wie ein Bekannter von uns einmal sagte: "Man muss es mögen müssen!"
Die Frage ist nur: Muss man das wirklich?

Matala - Spili

Der heutige Tag ist geprägt vom Wind. Bis Tympaki sind wir die ersten zwölf Kilometer des Tages noch leicht und freundlich gerollt, dann frischt es auf. Der vom Berg Kedhros Oros zum Meer hinabstürzende Wind kommt erst von der Seite und dann von vorn. Er ist zuerst ein bisschen hinderlich, aber dann wird es zunehmend mühsam, dagegen anzukämpfen. Nachdem die Strasse bei Agia Galini vollends nach Norden und damit voll in den Wind gedreht hat, kommen wir in dem engen Tal zeitweilig trotz nahezu flacher Strasse nur noch schiebend voran. Die Windgeschwindigkeit an Engstellen beträgt gegen geschätzte einhundert Stundenkilometer, und die Böen sind derart heftig, dass es uns schwer fällt, neben oder auf dem Rad zu bleiben und nicht einfach umgeblasen zu werden. Ab und zu können wir ein kurzes Stück fahren, dann ist wieder schieben angesagt.

Als wir endlich oben auf dem Berg sind, versuchen wir, eine Transportgelegenheit bis zum noch zehn Kilometer entfernten Spili zu bekommen. Wir halten an einem Haus, vor dem einige Pick Up Trucks parkiert sind. Die Männer im Haus schauen uns an, zucken mit den Schultern - einer von ihnen versteht offensichtlich englisch - aber keiner ist bereit, auch gegen Bezahlung nicht, uns nach Spili zu bringen. Wohl oder übel fahren und schieben wir weiter.

Kurz vor Akoumia - das Dorf liegt noch etwa sieben Kilometer vor Spili - haben wir für ein kurzes Stück der mit zehn Prozent ansteigenden Strasse den Wind direkt von hinten - und wir fahren diese Steigung nahezu ohne zu treten hoch. Was für eine Kraft, und welch ein Kampf! In Akoumia gibt es dann in der Taverne am Strassenrand die dringend benötigte kleine Mahlzeit. Sie hilft uns über die  - weil es jetzt endlich etwas hinuntergeht - nicht mehr ganz so mühsamen letzten paar Kilometer bis nach Spili.

Plötzlich fängt Therese an zu lachen. Sie sagt, dass ihr beim Gespräch bei den hilfsunwilligen Bauern spontan die Geschichte vom Guggershörnli eingefallen sei. Das Guggershörnli ist ein kleiner Felszacken in der Schweiz, von dem man eine grossartige Aussicht in die Freiburger Alpen hat.

Die Geschichte geht so:

Zwei alte Bauern sitzen auf dem Bänklein vor dem Haus und rauchen. Da kommt ein forscher Wandersmann mit roten Socken angestiefelt. Zackig fragt er: "Na, wo geht's denn hier zum Guggershörnli?". Die beiden schauen sich stumm an, zucken die Schultern - und schweigen. Der Wanderer versucht es nun in Französisch - keine Reaktion. Ebenso erfolglos bleiben seine Versuche, den Weg in Englisch, Italienisch und Griechisch zu erfragen. Verärgert stiefelt er schliesslich weiter. Die Männer sehen ihm nach, und, als er um die nächste Ecke verschwunden ist, nimmt der eine die Pfeife aus dem Mund, räuspert sich und sagt:"Ein Studierter. Fünf Sprachen kann er!". Der andere nickt und sagt: "Schon richtig, aber was hat es ihm genützt?". Sie schauen sich an, schweigen und - lächeln zufrieden.

Jetzt wissen wir es auch: Das Guggershörnli und seine Bewohner gibt es überall.

Im Hotel Green in Spili finden wir ein nettes Zimmer mit Sicht auf dort ansässigen Bischofssitz. Der Ort ist aber auch berühmt wegen seines das ganze Jahr über Wasser führenden Venezianischen Brunnens. Aus 25 Löwenköpfen fliesst hier das Wasser verschwenderisch in einen langen Trog. Wirklich sehenswert. Das Wasser scheint auch von guter Qualität zu sein. Wir sehen verschiedene Leute, die hier ihre mitgebrachten grossen Flaschen füllen.

Die heutige Etappe war, obwohl nur etwas mehr als fünfzig Kilometer lang, mit ihren über 900 Höhenmetern und vor allem wegen dem orkanartigen Wind die mit Abstand schwerste der bisherigen Reise. Das Nachtessen nach echt kretischer Art - Schnecken an Olivenöl und Rosmarin und Fleischbällchen in Tomatensauce mit Bratkartoffeln - ist darum heute besonders wohlverdient.

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